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Warum Rebenveredlung?

Informationen zur Rebveredlung
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Die Reblauskatastrophe im europäischen Weinbau

Das Jahr 1865 ist vermutlich das wichtigste Jahr der europäischen Weingeschichte. Es ist das Jahr, in dem die Reblaus aus Amerika nach Frankreich eingeschleppt wurde. Die französischen Weinberge wurden damals innerhalb kürzester Zeit fast völlig vernichtet! Nur neun Jahre später (1874) war die Reblaus auch in Deutschland. Bereits ein Jahr zuvor (!) war allerdings bereits eine Verordnung zur Bekämpfung der Reblaus erlassen worden. Mit strengen Quarantänebestimmungen und den Reblausgesetzen von 1875, 1883 und 1904 gelang eine schnelle Vernichtung der Reblausherde. Den Durchbruch in der indirekten Bekämpfung brachte dann endgültig die Freigabe des Pfropfrebenanbaus im Jahre 1925.

Ein Schädling mit verheerender Wirkung

Die Reblaus ernährt sich durch Saugen an den Reben. Sie stammt aus Nordamerika. Dort entwickelte sich allerdings in den Millionen Jahren der Evolution eine gegenseitige Anpassung von Reblaus und Wirtspflanzen, so dass die dortigen Rebsorten zwar befallen werden können, aber nicht absterben. Für beide ist das Überleben gesichert. Anders bei allen Edel-Rebsorten der „Alten Welt“: Der Überfall der Reblaus traf auf von der Evolution her völlig „unvorbereitete“ Reben! Bei Befall bilden sie an den Wurzeln Nodositäten mit dichter Reblausbesiedlung.
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Wurzelrebläuse und Eier (C) Wikipedia, J.Schmid: Im Winter faulen diese Wurzelgallen, so dass ganze Wurzelsysteme absterben. Damit ist das biologische Gleichgewicht zwischen Wirt und Parasit verschoben. Die echten europäischen Reben sterben somit ab:

Die beiden Kreisläufe der Reblaus. Ein Leben nur für die Liebe!

Besonders biologisch interessant am Entwicklungszyklus der Reblaus sind die zwei Kreisläufe: Sie hat nämlich einen oberirdischen Kreislauf und einen Wurzelkreislauf. Die Wurzelläuse sind alle weiblich; sie legen eine Vielzahl unbefruchtete Eier, aus denen im Hochsommer einige sich zu Nymphen entwickeln, dann zu nun beflügelten Rebläusen häuten und den Boden verlassen. Auch sie sind alle weiblich und legen  wiederum Eier aus denen jetzt aber Männchen und Weibchen schlüpfen: Das besondere: Diese Geschlechtstiere leben nur für die Liebe. Ihnen fehlen sogar die Mundwerkzeuge und der Darm ist verkümmert! Die Reblausmännchen können somit gar keinen Rebensaft aufnehmen und sterben nach einmaliger Begattung. Das Weibchen legt ein einziges befruchtetes Ei oberirdisch an der Rinde ab und stirbt dann ebenfalls! Aus diesem Winterei schlüpft im Frühjahr eine Laus, die Stammutter („fundatrix“ oder „Maigallenlaus“). Sie lebt in einer Blattgalle und legt die Eier für die oberirdische Generation an den Blättern:

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Zum Teil sind dabei auch einige Wurzelläuse, die wieder den Boden aufsuchen und somit den Kreislauf vollenden. Diese beiden komplizierten Kreisläufe zeigen den hohen Grad der Anpassung der Reblaus an ihren Wirt und erklären zugleich, dass sie ohne diesen ganz verloren ist. Anders ausgedrückt: Sie kann nur Reben befallen und keine anderen Pflanzen. Es dauerte recht lange, bis dies erforscht war und man erkannte, dass der Schaden durch die Reblaus „nur“ indirekt ist, indem sie wegen der Gallenbildung an den Wurzeln die Fäulnisprozesse einleitet.

Die geniale Entdeckung einer biologischen Bekämpfungsmöglichkeit: Die Pfropfrebe

Glücklicherweise ist es so, dass der oberirdische Kreislauf der Reblaus an den Blättern der Europäischen Rebsorten nicht verwirklicht wird. Sie bleiben frei von Blattgallen, während ein Wurzelbefall zum Absterben führt! Bei den Nordamerikanischen Sorten führt der mögliche Wurzelbefall wie oben erwähnt hingegen nicht zum Absterben. Aus dieser Erkenntnis wurde die großartige Idee der biologischen Bekämpfung der Reblaus geboren: Zunächst wurde in Deutschland der Anbau der amerikanischen Reben verboten, damit der oberirdische Kreislauf an deren Blättern unterbunden wurde. Ältere Mitbürger erinnern sich sicher noch an die Kolonnen, die vorhandene Bestände mit den so genannten „Amerikanerreben“ vernichteten. Eine eigene Behörde zur Reblausbekämpfung, der staatliche Reblausbekämpfungsdienst wurde aufgebaut. Teil zwei der Maßnahme war und ist bis heute die Herstellung und der Anbau von veredelten Pfropfreben.

 „Geburt“, Kindheit, Jugend und Alter einer Pfropfrebe

Der oberirdische Teil einer Pfropfrebe besteht aus unseren europäischen Reben, die nicht am Blatt befallen werden, aber mit ihren verschieden Sorten die gewünschte Weinart bestimmen. Aufgepfropft werden sie als „Edelreis“ mit einem Auge auf eine unterirdische Unterlage, die aus den unempfindlichen amerikanischen Sorten gekreuzt wurde. Die Unterlage übernimmt später die Nährstoff- und Wasserversorgung. Aus dem Edelreisauge wächst der Trauben tragende Rebstamm.

Beide Teile werden bei der Rebenveredlung mit speziellen Schnitten und nach einigen besonderen Behandlungsmaßnahmen miteinander kombiniert. Sie bilden ein Wundgewebe (Kallus), das die Verbindung herstellt. Sie verwachsen und bilden eine funktionsfähige Einheit, die dem Angriff der Reblaus standhält.

Nach einer mehrwöchigen „Geburts- und Kindheitsphase“ im Rebenveredlungsbetrieb werden junge Pfropfreben im Freiland in einer „Rebschule“ weiter kultiviert, in der sie eine Vegetationsperiode verbringen. Im darauf folgenden Winter werden sie sortiert und über ein Jahr nach Beginn der ersten Arbeit kann die Pflanzung durch den Winzer erfolgen. Eine Unzahl von Verarbeitungsschritten ist insgesamt nötig. Alle sind bis zur heutigen Zeit Handarbeit geblieben! Zwei bis drei Jahre nach der Pflanzung im Weinberg ist der Rebstock dann erwachsen und trägt die ersten Trauben. Der fertige Weinberg kann eine Lebensdauer von 20 bis 30 Jahren - vereinzelt auch länger - erreichen.

Die Verantwortung von Winzern und Hobbygärtnern

In der gesamten Standzeit kann einem veredeltem Rebstock die Reblaus nichts anhaben, wenn der Winzer einen bestimmten leicht vermeidbaren Fehler nicht macht: Er muss nämlich verhindern, dass sich am Edelreis Wurzeln bilden, die nach und nach die Wurzeln der Unterlage ersetzen und die Unterlage verkümmern lassen. Im Laufe der Zeit würde wieder eine alte „wurzelechte“ Rebe entstehen, deren Wurzelwerk von der Reblaus angegriffen werden könnte. Wenn der Winzer also aufpasst, ist die Rebveredlung somit nicht nur die älteste sondern auch die erfolgreichste Methode einer biologischen Schädlingsbekämpfung überhaupt. Und es gibt keine Alternative! Denn für einen befallenen Weinberg gibt es keinerlei Rettungsmaßnahme durch irgendwelche Schädlingsbekämpfungsmittel! Er muss komplett gerodet werden! Die Verantwortung des Winzers ist also nicht zu unterschätzen. Aber auch der Hobbygärtner ist in der Verantwortung. Für ihn gelten die gleichen Regeln, auch wenn es nur ein paar Tafeltrauben im Garten sind. Alle Reben müssen veredelt sein! Fachleute befürchten, dass gerade von den Gärten aus wegen Unwissenheit und Unbedachtsamkeit eine ganz besonders große Reblausgefahr ausgeht, da im Markt gekaufte Pflanzen oft nicht fachkundig gepflanzt werden. Der staatliche Reblausbekämpfungsdienst überwacht im Übrigen alle unsere Weinberge ständig auf etwa auftretenden Reblausbefall und darf zu diesem Zweck alle Grundstücke betreten. In jeden Garten kann er aber aus zeitlichen Gründen nicht schauen und somit bleibt gerade dort ein besonderes Risikopotential bestehen.

Im Rheingau ist es in den letzten Jahren zu einer rasanten Vermehrung der Reblaus gekommen. In Kalifornien sind wegen der Auswahl nicht vollständig reblausresistenter Kombinationen auf Hunderten von Hektar Schäden in mehrstelliger Millionenhöhe entstanden!

Mit der Vorschrift zur Anpflanzung ausschließlich von veredelten Pfropfreben nach dem zweiten Weltkrieg gelang es bislang, den deutschen Weinbau vor einer Katastrophe zu bewahren. Ganz besonders erfreulich ist es, dass es mit der rechtzeitigen Umstellung bislang gelungen ist, unser heimisches Anbaugebiet die „Hessische Bergstraße“ komplett reblausfrei zu halten! Sie nimmt damit weltweit eine Sonderstellung ein! Wir hoffen, dass wir diese noch lange erhalten können.

Nachtrag: Am 28.7.2005 war es soweit! Rund 140 Jahre, nachdem die Reblaus in Europa an Land ging, hat sie auch die Hessische Bergstrasse erreicht. In einer Lage hat sie sich vermutlich 2-3 Jahre unbemerkt in einem verwilderten Taleinschnitt an Unterlagsausschlägen, die leider zuvor nicht sauber beseitigt worden waren, vermehrt. Im Jahr 2005 verbreitete sie sich dann über mehrere hundert Meter weiter jeweils bis zu den nächsten "Stützpunkten". Somit müssen sich auch die Winzer der Bergstrasse künftig wie schon die Winzer in allen anderen Anbaugebieten auf ein Leben mit der Reblaus einstellen. Alle Vorsichtsmaßnahmen erhalten nun einen noch viel wichtigeren Stellenwert!

Nebeneffekt des Anbaus von Pfropfreben ist wegen der größeren Vitalität der Unterlagsreben im Vergleich zu den so genannten alten „wurzelechten Reben“ auch eine bessere Weinqualität und Ertragskonstanz.

Wer darf Reben veredeln? -Woher kommt das Material? Die Beteiligten

Mittlerweile sind in Deutschland fast alle angebauten Reben veredelt. In der Anfangsphase waren es vor allem staatliche Veredlungsbetriebe, die für die Veredlung der Reben sorgen (durften). Nach dem Kriege hat die Umstellungsphase in allen Weinbaugebieten das Einkommen von einer Vielzahl von kleineren Veredlungsbetrieben gesichert, die eine staatliche Zulassung benötigen. Heute werden dagegen lediglich nur noch Pfropfreben bei einer altersbedingten Wiederanlage eines Weinbergs benötigt. Wirtschaftliche Gründe und der enorme technische Aufwand haben deshalb mittlerweile zu einer Aufgabe fast aller Betriebe geführt und nur die Rebenveredlungsbetriebe mit bestem Pflanzgut und gutem Ruf bei den Winzern hatten eine Überlebenschance. In beiden hessischen Weinbaugebieten gibt es heute nur noch jeweils einen Rebenveredlungsbetrieb, der die Versorgung mit Pfropfreben aufrechterhält. Die Unterlagsreben, die für die Veredlung benötigt werden und früher im „Hessischen Rebmuttergarten“, dem heutigen Staatsweingut herangezogen wurden, stammen heute meist aus italienischen, französischen und portugiesischen Vermehrungsanlagen. Im Jahr 2005 haben wir in unserem Betrieb ebenfalls Anpflanzungen von Unterlagen vorgenommen. Und zwar handelt es sich um die Kategorien Vorstufenpflanzgut, also die allerhöchste Pflanzgutkategorie. Diese Vorstufenanlage enthält die neuesten Klone der Forschungsanstalt Geisenheim und dient künftig der Produktion von Reben, die zum Aufbau von Mutterflächen in allen Anbaugebiten dienen.

Eine weitere wichtige Aufgabe findet hier bei uns vor Ort statt. Der Aufbau von Vermehrungsanlagen für die Edelreiser der verschiedenen Rebsorten. Sie sind schließlich entscheidend für den späteren Ertrag, die Qualität und somit für den Erfolg des Winzers. Gerade an der Bergstraße ist es wegen optimaler Bodenvoraussetzungen gelungen, eine ganze Reihe solcher „Basisanlagen“ zu erstellen, die höchste Kriterien erfüllen.

An diesen Anlagen sind viele beteiligt:

1. Ein Züchter, der eine spezielle Selektion oder Kreuzung vorgenommen hat.

2. Die staatliche Anerkennungsbehörde, die in mehreren Anerkennungs- und Kontrollschritten außer der Produktion der Edelreiser und der Unterlagen auch die Veredlung, die Rebschule und anschließende Sortierung und den Verkauf der Reben begleitet und mit einem „Pflanzenpass“ nach EU-Norm die erforderlichen gesundheitlichen Eigenschaften der Pflanze attestiert.

3. Der Winzer bzw. der Rebveredler, der die Vermehrungsanlage bewirtschaftet.

Der Weinbau ist somit heute überall ohne die Rebveredlung nicht mehr möglich. Und diese wiederum ist ein Netzwerk von vielen Beteiligten und Institutionen in ganz Europa, um dem Winzer ein sicheres und gesundes Pflanzmaterial für einen optimalen Weinbau zur Verfügung stellen zu können.

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